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Pieter Sohl in seinem Häuschen auf dem Kohlhof. Das Reisen vermisst der Weitgereiste nicht. Foto: Stefan Kre-

„Man müsste ewig leben können“

RNZ 02.02.2013 – Der Heidelberger Bildhauer und Maler Pieter Sohl wird am Dienstag 80 Jahre alt und ist kein bisschen müde


Von Ingrid Thoms-Hoffmann

Einfach nur hier sitzen bleiben. Umgeben von der Wärme der Stube und der Gastfreundschaft, ein Gläschen Crémant trinken, den noch warmen Mangold-Kuchen und den frischen Lachs genießen, in den dichten Nebel schauen, aus dem die Kunstwerke auf der Wiese vor dem Haus wie bizarre Wesen einer anderen Welt in die Geborgenheit des Wohnraums winken. Sich von dem Kurpfälzisch dieses Ehepaares einlullen lassen, die Geschichten von früher und von heute hören, mit ihnen um die Welt reisen, dabei immer wieder die großen bunten Holzskulpturen als weitere Gäste empfinden und die kleinen Bronzefiguren, die so zahlreich auf Fensterbänken und Mäuerchen stehen, in die Hand nehmen. Ein Besuch bei den Sohls in ihrem verwunschenen Häuschen auf dem Kohlhof ist ein Wohlfühltag. Am Dienstag wird der Bildhauer und Maler Pieter Sohl 80 Jahre alt. Aber was sagt schon eine Zahl bei einem Mann, der so voller Elan und Lebensfreude ist, der jeden Tag im Atelier arbeitet, immer in Rufweite seiner Frau Birgit, die ihm seit 46 Jahren nicht nur Gefährtin, sondern auch fachkundige Managerin ist. Und die sich in der Biografie ihres Ehemanns streckenweise besser auskennt als dieser selbst.

DAS PORTRÄT

Wenn Pieter Sohl erzählt – und er hat viel zu erzählen – dann gibt es kein Gestern oder Heute, dann ist alles eins. Keine vertikalen oder horizontalen Linien, sondern Formen, wie die Natur sie vorgibt. Gerade sind wir bei seinem berühmten Vater Will, als er auf den Felsbildkopierer Joachim Lutz zu sprechen kommt, der sein Patenonkel war, und auf sein Elternhaus, das ehemalige Pförtnerhaus unterhalb des Stifts Neuburg, als wir uns flugs im New Yorker Loft von Andy Warhol umsehen und mit Ives Klein und dessen Freundin konfrontiert werden, um dann doch wieder beim Vater zu landen, von dem er das Malen gelernt hat, wo er sich auch mal an einer Ecke eines Gemäldes versuchen durfte, der für ihn, dem Ältesten von fünf Geschwistern, Märchen schrieb und zeichnete, um dann zu hören, dass der Sohn Jahrzehnte später in Dänemark winzige Pornos mit der Lupe auf die Innenseite von Schnupftabakdosen gemalt hat. Dreidimensional, wie er lachend sagte.

Ach ja Dänemark. Hier erlernte er das Emaillieren und den Umgang mit Silber. Und vor allem lernte er hier seine dritte Ehefrau kennen. Sein Bruder Ole, der im letzten Jahr verstorbene Silberschmied, kannte die norwegisch-dänische Familie und Pieter Sohl verliebte sich und wie es scheint bis zum heutigen Tag. Wenn er von seinen Ex-Ehefrauen spricht, mit 23 Jahren heiratete er eine Französin, danach war es eine Amerikanerin, die auch die Mutter seiner beiden Kinder ist, die sein Herz eroberte, dann hilft ihm Ehefrau Birgit schon mal mit exakten Daten auf die Sprünge. Pieter grinst und beteuert, dass sie ja alle bis heute befreundet sind. Dann nimmt man dem 80-Jährigen den Beau ab, der da in jungen Jahren, ganz in Schwarz gekleidet im "Cave" saß, gleich links unter der Treppe und kein Wort redete und zeichnete. "Ich wollte cool sein", sagt er.

Dabei ist er alles andere als das. Er ist warmherzig, er liebt Menschen und Tiere und er ist von sich und seiner Kunst überzeugt, die so vielfältig und facettenreich ist, wie er selbst. Seine erste große Ausstellung hatte er übrigens in Paris. Der Ansturm hielt sich damals in Grenzen, erzählt er. Aber als ein Bild geklaut wurde und sein Trenchcoat noch dazu, da berichteten die Zeitungen. Und als er dann, wieder zurück in Heidelberg, erzählte, dass er alle seine Bilder verkaufte, da konnte es ihm keiner glauben.

Es ist die Lebendigkeit, das Außergewöhnliche, das die Biografie Pieter Sohls so spannend macht, und es sind die abstrusesten Geschichten. Dass er als Vertreter für Aussteuerwäsche durch Afrika reiste, für eine amerikanische Firma Elefanten, Gorillas und Schimpansen für Zoos einfing, als Kameramann bei Filmaufnahmen in Kamerun dabei war oder mit Michael Grzimek die Tierwanderungen in der Serengeti beobachtete, das findet sich mittlerweile in allen Publikationen, die über ihn verfasst wurden. Auch, dass er von den Elfenbein- und Maskenschnitzern im Kongo begeistert war. Aber dass er auch Waschmaschinen in Madagaskar verkaufte, in Dörfern ohne Strom, steht nirgends geschrieben. Ebenso wenig, dass er sich zusammen mit Ehefrau Birgit als Reiseleiter auf dem schwarzen Kontinent verdingte und das mit großem Spaß.

Überhaupt Afrika. Unverkennbar flossen die Eindrücke seines fast sechsjährigen Aufenthalts in seine Bilder und Skulpturen ein. Das Licht, die Farben, die Natur, die Tiere und die Menschen. Es war sein Vater, der ihn wieder nach Europa brachte. "Willst du immer nur Eingeborene malen?", hatte er ihn gefragt. Wollte er nicht. Aber sesshaft in Deutschland wollte er auch noch nicht werden. Ein Stipendium ermöglichte dem "Herumtreiber" einen Studienaufenthalt auf Kreta. Für ihn eine wunderbare Zeit mit intensiven Begegnungen. Hier trifft er unter anderen Henry Miller oder auch Coco Chanel. Von Griechenland ging es dann nach Dänemark. Und 1968 kam Sohl schließlich nach Heidelberg als freischaffender Maler und Bildhauer zurück. Seit 1979 ist das Häuschen hoch über Heidelberg sein Zuhause. Und das Reisen, vermisst er das nicht? Nein, tut er nicht. Er hat so viel von der Welt gesehen, alleine oder zusammen mit seiner Frau.

Jetzt freut er sich auf seine Ausstellung zum runden Geburtstag. Dann werden die Laudatoren sein Leben in chronologische Bahnen bringen, so wie es in dem Buch steht, das eigens zum großen Tag herauskommt. Und hier steht geschrieben, dass Pieter Sohl, der Name geht übrigens auf den vom Vater so geschätzten Pieter Bruegel zurück, am 5. Februar 1933 in Mannheim geboren wurde, in Heidelberg aufwuchs, wie sein Vater an der Kunstakademie Düsseldorf und zwischendurch bei dem international bekannten Bildhauer Christos Kapralos an der Kunstakademie in Athen studierte.

In der Replik wird seine Vita geordnet verlaufen, wird das Zitat von ihm "es gibt kaum eine Technik, mit der ich nicht arbeite", belegt werden durch die unzähligen Werke, die er geschaffen hat, ob im öffentlichen Raum oder an den Wänden von Privatsammlern. Und Pieter Sohl wird mit der Ausstrahlung eines 60-Jährigen (nur mit weniger Falten) und der leicht spöttischen Gelassenheit eines 80- Jährigen die Glückwünsche entgegennehmen, für die er sich aufrichtig bedanken wird. Er wird den Trubel um seine Person genießen, wird sich darauf freuen, in den nächsten Tagen seinen weißen Kittel mit den unzähligen Farbklecksen wieder überstreifen zu können, um im Atelier zu stehen, schließlich ist er ja kein Maler, "der sich ans Meer setzt und einen blauen Horizont malt", und wird sich vielleicht in leiseren Momenten seines Ausspruchs erinnern: "Man müsste ewig leben können!"

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